12. Weinmarketingtag – Krise heißt immer auch Chance: INNOVATIVE Konzepte

12. Heilbronner Weinmarketingtag nach zweijähriger Corona-Zwangspause

Der 12. Heilbronner Weinmarketingtag stand unter dem Motto „Krise heißt immer auch Chance“. Nachdem der Weinmarketingtag wegen der Corona Pandemie zweimal aussetzen musste, traf man sich am 19. Mai in der Aula am Bildungscampus in Heilbronn. Traditionell treffen in Heilbronn Verantwortliche aus Weingütern, Genossenschaften und Handel auf Wissenschaft und Forschung. Interessant: Neben vielen Teilnehmer*innen, die dem Weinmarketingtag seit langen Jahren die Treue halten, nahm etwa ein Drittel zum ersten Mal an der Veranstaltung teil.   Viele Teilnehmer*innen kamen direkt von der Prowein aus Düsseldorf nach Heilbronn und brachten die dort diskutierten Krisen-Themen zur Tagung mit.

Prof. Ruth Fleuchaus, Studiengang Weinmarketing und Management der Hochschule Heilbronn, sprach dann auch in ihren einführenden Worten zur Tagung von einer bisher so noch nicht dagewesenen Situation – sowohl gesamtgesellschaftlich als auch im Besonderen für die Weinbranche. Zusätzlich zu den Corona-Folgen erleben wir aktuell einen Krieg in Europa mit bislang unübersehbaren Auswirkungen. Für die Weinbranche sind sprunghaft gestiegene Kosten für Energie, Verpackung und Logistik zu verzeichnen sowie komplette Lieferausfälle bei Flaschen, Kapseln und anderer unverzichtbarer Hardware und Technik.

Verständlich ist, dass die Verbraucher*innen, die während der Corona-Zeit in Ausgabelaune waren, mit kontinuierlich steigender Inflationsrate deutliche Zurückhaltung beim Kauf von Lebensmitteln und eben auch von Wein zeigen. 18% Rückgang beim Weinabsatz im ersten Quartal 2022 gegenüber dem Vorjahr und immerhin noch 7% gegenüber der Zeit vor Corona sprechen eine deutliche Sprache.

Der Druck, sich als Unternehmen zu verändern, der Zwang zu reagieren scheine aktuell größer als je zuvor, sagte Frau Prof Fleuchaus. Veränderungen böten immer auch Chancen und heben Potenziale. Es reiche auf die Dauer aber nicht, sich erst unter Druck zu bewegen und nach neuen Lösungen zu suchen. Wörtlich sagte sie: „Nachhaltige Innovation ist eine Frage der Kultur und nicht des Krisenmanagements.“ Es gehe darum, diese Innovations-Kultur zu entwickeln und in den Unternehmen zu verankern. 

Bildunterschrift von links nach rechts: Christian Rasch (Alleinvorstand Badische Staatsbrauerei Rothaus AG), Dr. Bastian Klohr (Geschäftsführender Vorstand Weinbiet Manufaktur eG), Christoph Graf (Vorstand Sektmanufaktur Schloss VAUX AG), Prof. Dr. Ruth Fleuchaus (Studiengang Weinmarketing und Management , Hochschule Heilbronn), Marian Kopp (Geschäftsführender Vorstand Lauffener Weingärtner eG), Philipp Rößle (Gründer und CEO Kolonne Null), Friederike Watzl (Studiengang Weinmarketing und Management, Hochschule Heilbronn), Wendelin Grass (Managing Director German Wine Group GWG GmbH), fehlt: Johannes Josnik (Associate Partner Weissman & Cie.).

Johannes Josnik, Partner von Weissman & Cie in Nürnberg, nahm als erster Referent der Tagung das Thema auf. Er erläuterte im Detail, welchen Einfluss eine klar definierte unternehmerische Strategie in Krisensituationen hat. Sie gibt die Richtung für Veränderungen vor und ist die Basis allen Handelns. Als weitere unverzichtbare Erfolgsfaktoren in Zeiten der Veränderung identifizierte er eine radikale Kundenorientierung, Innovationen bei Produkten und Dienstleistungen, eine starke Marke und den unbedingten Willen zur Transformation.

Wie Veränderung unter diesen Vorzeichen erfolgreich gelingen kann, demonstrierte der ehemalige Leistungssportler unter anderem am Turnaround des notleidenden Sportartikel-Herstellers Puma, der sich mit einer klar definierten Strategie zu einem der heißesten Sportlifestyle Brands weltweit entwickelte. Josnik machte den Teilnehmer*innen Mut zu Innovationen: Für die Konsument*innen ist Innovation der zweitwichtigste Faktor bei der Auswahl von Produkten und Marken! Also: gleich morgen anfangen!

Schloss Vaux steht für hochwertige Sekte mit traditioneller Methode mit definierter Herkunft und Premiumanspruch. Der Vorstandvorsitzende Christoph Graf stellte fest, dass es in der Krise zunächst einmal wichtig sei, dem Fluchtinstinkt, der sich eventuell nach einer ersten Schockstarre einstelle, nicht zu folgen. Aktionismus, Flucht ins Ausprobieren und hektische Aktionen seien wenig erfolgversprechend. Eine Standortbestimmung und ein klares Konzept helfen eher weiter. So habe man bei Schloss Vaux in Eltville die Corona-Zeit für eine Reihe wichtiger, zukunftsweisender Veränderungen im Unternehmen genutzt.

Wichtige Veränderungen am Markt gehen auch an einer Traditions- und Premiummarke wie Schloss Vaux nicht spurlos vorbei. Der Markt verlange auch in diesem Segment neue Produkte. Demografische Veränderungen machten es wichtig, neue Zielgruppen zu erschließen. Wolle man sichtbar bleiben, müsse man die neuen Medien bespielen. Und vielleicht komme man auch an einer Stelle zu der Erkenntnis, dass man alleine nicht weiterkomme – dann müsse man eben darauf reagieren und sich Mitstreiter suchen. In diesem Sinne sei der gemeinsame Auftritt der „Traditionellen Sektmacher“ bei der Prowein ein voller Erfolg gewesen.

Dass Tradition bei Produktinnovationen nicht hinderlich sein muss, demonstrierte Graf am Beispiel des ersten mit Flaschengärung erzeugten Sektes mit nur 2% Alkohol. Basis des NOVAUX ist ein entalkoholisierter Wein, der mit der traditionellen Methode versektet wird. Das Produkt hat mit anderen am Markt vertretenen alkoholfreien / -reduzierten Schaumweinen nichts zu tun. Es unterstreicht auch im low alcohol Segment den Premiumanspruch von Schloss Vaux und wird mit 16 €/Flasche zu einem Premium-Preis am Markt positioniert. Die Testmenge war innerhalb kürzester Zeit vergriffen. Die 30.000 für 2022 vorgesehenen Flaschen sind aktuell in der Auslieferung.

Innovative Genossen erobern die Welt – unter dieser Überschrift stellte Wendelin Grass die Exportkooperation der vier Genossenschaften Alde Gott (Baden), Divino (Franken), Cleebronn-Güglingen (Württemberg) und Weinbiet (Pfalz) vor. The German Wine Group wurde 2017 als GmbH gegründet mit der Aufgabe, die Exportaktivitäten der vier Genossenschaften zu bündeln und den Export als nachhaltigen Absatzkanal zu etablieren. Selbst für große Genossenschaften ist der Export oft nur Randthema, das mit viel Aufwand aber wenig Ertrag verbunden ist. Geht man die Sache jedoch gemeinsam an, kann etwas daraus werden.

Weine aus unterschiedlichen Rebsorten und Regionen – aber aus einer Hand und direkt vom Erzeuger. Kontrollierte Qualität vom Weinberg bis in die Flasche und dauerhaft verlässliche Lieferfähigkeit, dafür steht The German Wine Group und hebt sich damit von anderen Anbietern wie Agenturen und Brokern ab. Ausprobieren, loslegen und machen – nach 3 Jahren ist man in 20 – 25 Märkten präsent. Das Konzept ist so überzeugend, dass sich 2020 das VDP Weingut Staatlicher Hofkeller Würzburg der Kooperation angeschlossen hat.

Bei der Prowein 2020 sollte eine gebietsübergreifende Deutschweinmarke gelauncht werden. Corona kam dazwischen. Das Weinkonzept allerdings gefiel Lidl so gut, dass daraus die „Heimatwein“-Serie wurde. Gleichzeitig wurde für Netto ein Winzerinnen-Wein kreiert, der im November 2021 unter der Überschrift „Reben-Tänzerin“ in die Märkte kam.

Bei der Prowein 2022 gab es dann einen erfolgreichen gemeinsamen Messeauftritt, bei dem weitere gemeinsam entwickelte Marken und Produktlinien vorgestellt wurden. Die Gespräche bei der Messe waren so erfolgreich, dass sich die Genossen vorstellen können, weitere Partner mit ins Boot zu nehmen. 

 

Marian Kopp, der seit 2014 Geschäftsführender Vorstand der Lauffener Weingärtner eG ist, zeigte in seinem Vortrag, welche Chancen sich im Weinmarketing bei einer konsequenten Ausrichtung an Verbraucher*innen, Handel und Wettbewerb ergeben. Die Lauffener Weingärtner sind eine der größten Winzergenossenschaften in Deutschland mit einer Vielzahl von Prämierungen. Sie sind im nationalen Handel mit mehreren Rebsortenweinen breit gelistet.

Daneben wurden in den letzten Jahren sehr erfolgreich mehrere innovative Weinlinien im Lebensmittelhandel etabliert: zu nennen sind LESESTOFF mit mehr als 1.000.000 verkauften Flaschen seit 2017 und WHYNE – wine meets whisky seit 2019 im Premiumsegment. Regelmäßige Innovationen erzeugen Aufmerksamkeit und Akzeptanz beim Handel und beim Publikum – deshalb sei es notwendig, regelmäßig mit Neuem präsent zu sein.

Leider zeichne sich die Weinbranche immer noch durch eine starke Produktorientierung aus, zitierte Kopp einen Fachartikel von Frau Prof. Fleuchaus. Dadurch entstehe eine Asymmetrie in der Wahrnehmung zwischen Produzent und Kunde. Eine konsequente Kundenorientierung hilft, diese Asymmetrie zu vermeiden. Die neueste Weinserie der Lauffener Weingärtner setzt genau dort an: Die Rolle der Frauen beim Weinkauf und beim Konsum werde oft falsch eingeschätzt, so Kopp. Fakt sei, 56% des Weins werde von Frauen gekauft und Frauen gäben auch mehr Geld für Wein aus – 185 Euro (Männer 175 Euro). Frauen sind überwiegend für die Haushaltseinkäufe zuständig – und damit auch für den Weineinkauf im Supermarkt oder beim Discounter.

In Kooperation mit der Frauenzeitschrift BRIGITTE stellen die Lauffener Weingärtner den ersten Markenwein exclusiv für Frauen vor. BRIGITTE ist das Leitmedium für Frauen und steht laut Marktforschung für höchste Glaubwürdigkeit und gesellschaftliche Relevanz. Gleichzeitig wird mit der Zeitschrift Veränderung und Innovation verbunden. Starke Weingärtnerinnen in Lauffen und eine starke Frauen-Zeitschrift in Hamburg = Frauenpower in der Flasche. Für den Start kommen zwei Weine aktuell in den Handel. Auf den Etiketten prangt das bekannte BRIGITTE-Logo, die Grafik und die Farbigkeit orientiert sich am BRIGITTE Auftritt und nimmt die BRIGITTE Welt auf. Das Konzept wurde gerade mit dem „All Beverage Award“ ausgezeichnet. 

Wein brauche einen identifizierbaren Absender und eine Herkunft, so Marian Kopp. Auch wenn bei der Frauen-Linie die Marke BRIGITTE im Vordergrund stehe, sind die Lauffener Weingärtner mit ihrem traditionellen Logo auf der Kapsel und auf dem Rückenetikett vertreten.

Was bedeutet nachhaltige Markenführung konkret? Auch eine alteingeführte Premiummarke wie Rothaus mit seinem Kultbier Tannenzäpfle kann sich nicht auf den gegenwärtigen Erfolgen ausruhen. Nachhaltigkeit in der Markenführung sei, so Christian Rasch, Alleinvorstand der Badischen Staatsbrauerei Rothaus AG der einzige Weg das Unternehmen zukunftsfest zu machen. Die Marke Rothaus ist geprägt durch ihren Standort im Schwarzwald, die Qualität der verarbeiteten Rohstoffe, das Wasser aus den eigenen Quellen und das besondere Rothaus-Brauverfahren.

Verbraucher*innen erwarten gerade wenn es um Premium-Produkte geht, eine zunehmende Orientierung an Prinzipien des Klimaschutzes, der Ökologie und Nachhaltigkeit. Damit werde aktiver Klimaschutz und klimapositives unternehmerisches Handeln zu einem ökonomischen Faktor. Das habe man bei Rothaus verstanden, sagte Rasch. Rothaus verstehe Klimaschutz als eine Frage der Wertschätzung: den Kunden gegenüber, den Mitarbeiter*innen gegenüber und vor allem auch der Umwelt gegenüber. Zudem bedrohe der Klimawandel unmittelbar die Existenz der Marke: Wenn die Quellen wegen zunehmender Trockenheit versiegen, die Qualität der Rohstoffe leide und der Standort für Mitarbeiter*innen an Attraktivität verliere, sei die Existenz in Gefahr. Klimapositives Handeln sei heute überlebenswichtig. Morgen sei eben nicht egal, sondern die Zukunft.

Rothaus hat ein umfangreiches Programm aufgelegt, um das Unternehmen bis 2030 umfänglich klimapositiv zu machen. In diesem Prozess wird nicht nur der Betrieb neu ausgerichtet (cradle to gate) sondern auch die Rohstoff-Lieferung und die nachgelagerte Logistik und Distribution wird mit einbezogen. Bereits aktuell sei der CO2 Ausstoß deutlich verringert worden. Dazu beigetragen haben eine neue Abfüllanlage, eine Solarthermie Anlage, die heißes Wasser und Dampf erzeugt und eine Biogas-Anlage. Als weitere klimapositive Investitionen stehen 9.000 m² Photovoltaik, mehrere Windkrafträder und eine 100% Elektromobilität – auch der LKW Flotte – an. Dies alles mache natürlich die Marke am Ende teurer, so Rasch. Aber Nichthandeln koste unser aller Zukunft und auch die Zukunft der Marke.

Warum hat eigentlich alkoholfreier Wein so ein schlechtes Image? Warum gibt es so gut wie keine hochqualitativen, alkoholfreien Essensbegleiter, die zu einem bewussten, aber anspruchs- und stilvollen Lebensstil passen? Diese Fragen stellten sich Philipp Rößle und Moritz Zyrewitz. Antworten suchten sie bei Winzer*innen, Kellereien und Entalkoholisierungsspezialist*innen weltweit. 2018 wurde ein konkretes Projekt daraus: Das war die Geburtsstunde von Kolonne Null. 2018 wurde auch der erste Wein in Co-Produktion mit einem kleinen Weingut aus Niederösterreich produziert, der zunächst über Wochenmärkte und Weinhandlungen vertrieben wurde.

Aus dem einen Wein ist heute ein Sortiment von Weinen und Schaumweinen aus Deutschland, Österreich, Frankreich und Spanien unter der Dachmarke Kolonne Null geworden. Kolonne Null sucht dabei erfolgreich die Zusammenarbeit mit renommierten Winzer*innen – vorwiegend Familienbetrieben – auch alkoholfreier (Premium)Wein braucht Topp-Produzent*innen und Herkunft. Kolonne Null kauft deshalb nicht einfach fertige Weine, sondern begleitet die Weine vom Weinberg bis in die Flasche. Das notwendige Know-How haben sich die Gründer selbst erarbeitet und auch von außen in die Firma geholt. So werden seit einiger Zeit alle Prozesse durch ein firmeneigenes Labor überwacht. Für die Zukunft ist eine eigene Produktion und ein repräsentatives, eigenes Stammhaus geplant.

Die Weine werden über den eigenen Online-Shop vertrieben, sind mittlerweile aber auch bundesweit bei den Topp-Adressen im Weinfachhandel, in Feinkostabteilungen und bei engagierten EDEKA und REWE Händlern zu finden. Die Preise der Weine liegen dabei bei um die 10 Euro/Flasche. Aktuell wird getestet, ob es auch einen Markt für alkoholfreie Premium-Weine für 20 Euro und mehr gibt.

Der 12. Heilbronner Weinmarketingtag war ein schöner Erfolg nach dieser langen Corona bedingten Pause. Die lehrreichen und unterhaltsamen Beiträge der Referenten begeisterte das Publikum und brachte manch eine*n zum Nachdenken. Es gab wie immer viele Diskussionen und vielleicht entstehen auch in diesem Jahr daraus wieder wie schon bei vielen vorherigen Weinmarketingtagen neue Ideen, Konzepte und gemeinsame Aktivitäten. Der 13. Heilbronner Weinmarketingtag ist für den 25. Mai 2023 angesetzt.